Quinta 2016 vier
02 Sep 2016, Posted by Portugal | 2016 in#sanduhrläuft#
Die Zeit vergeht wie im Flug, bei allen Bemühungen ist es kaum zu verhindern, dass Zeitlichkeit in mich eindringt. Doch die morgendliche Begrüßung der Hunde holt mich in den Moment. Sirius schläft in unserem Appartement, oft schläft er auf der Couch unten ein und kommt mitten in der Nacht die Holztreppe zum Schlafbereich hoch und legt sich zwischen uns, wie so oft schläft er auf dem Rücken liegend, alle Viere von sich gestreckt ein. Morgens wecken uns die noch milden Sonnenstrahlen, die durch die Jalousie dringen, auf – die Zeitlichkeit zieht uns aus dem Bett und verlangt, ihre kleine Schwester Zeit zu nutzen. Wir lassen Sirius raus, Freddy, Charly und Luna begrüßen uns drei. Lotte, Sirius Mama, ist seit der Geburt ihrer drei Kinder der Trubel oft zuviel, sie kommt später dazu. Wenigen Minuten vergehen und die Hunde spielen miteinander…
Zeit verlangt, Kaffee zu kochen. Die Sonne streichelt uns, während wir kurz Verbindung zur Welt auf virtuellem Wege aufnehmen, den Kaffee, die Wärme, die von Windgeräuschen, gelegentlichem entfernten Hundegebell und Hühnergegacker durchzogene Stille und die Zeitlosigkeit genießen. Heute ist es menschenleer auf der Quinta, Olaf verließ gestern das Anwesen und kam wie angekündigt nicht wieder, Kati verdient für ein paar Tage Geld in Lissabon, Sebastian – der Sohn von Olaf, der mit seiner kanadischen Frau und dem kleinen Sohn vor wenigen Tagen vorübergehend hier eingezogen ist – und seine Familie sind auch weg. Außer uns sind keine Gäste da, morgen kommen die nächsten.
Die Kamera auf das Stativ, Selbstauslöser in 10 Sekunden – Meik hat seine Kamera zuhause gelassen…
Ich nehme Bezug zum Steppenwolf: So wie die Zweiteilung des Ichs in Wolf und Mensch eine Illusion ist, sondern aus tausenden Wesen besteht, so ist unser Blick auf einen Menschen nur einer von tausenden – es ist eine Illusion anzunehmen, dass mein eigener Blick auf einen Menschen in irgendeiner Weise die Realität jenes Menschen auch nur annähernd abbildet. Es ist angemessen, den eigenen Eindruck, den ein Mensch hinterlässt als kleine Scherbe in einem großen Mosaik anzunehmen. Wir fuhren vor wenigen Tagen mit einer Freundin von Kati, die hier auf dem Gelände derzeit in ihrem Camper lebt, in ein kleines Städtchen, gingen dort in einer Markthalle, die aus 8 Ständen bestand, kauften leckeren Honig und Tomaten und verbrachten noch einige Zeit in einem Cafe / einer Bar. Dort trafen wir zwei weitere Frauen, die vor unbestimmter Zeit in Deutschland lebten, jetzt aber hier leben. Eine der Beiden hatte ihr 5-jährige Tochter und ihren 1-jährigen Sohn dabei. Sie wirkte recht unentspannt, unter Strom, sprach recht negativ über Verschiedenes. Ihr Sohn hatte Hunger, kam an die Brust und stieß eifersüchtig die auf dem Schoss der Mutter sitzende Schwester weg. Das 5-jährige Mädchen hatte einen recht ähnlichen Ausdruck wie die Mutter: genervt, angespannt, es schien, als würde sie bald losheulen, was sie nicht tat. Mir schoss beim Anblick und dem Erleben des Gespanns Mutter/Tochter der Gedanke durch den Kopf, dass dies eine von vielen Szene zu sein scheint, in der „Übertragung“ (in psychoanalytischem Sinne) ihren Anfang nimmt.
Definition Übertragung: Er bezeichnet dort den Vorgang, dass ein Mensch alte – oftmals verdrängte – Gefühle, Affekte, Erwartungen (insbesondere Rollenerwartungen), Wünsche und Befürchtungen aus der Kindheit unbewusst auf neue soziale Beziehungen überträgt und reaktiviert. Ursprünglich können diese Gefühle auf die Eltern oder Geschwister bezogen gewesen sein, bleiben aber auch nach der Ablösung aus dem Elternhaus in der Psyche präsent und wirken dort weiter. Dieser Vorgang ist zunächst weitestgehend normal und weit verbreitet, kann aber, wenn die übertragenen Gefühle sich gegenüber tatsächlichen gegenwärtigen Beziehungen als nicht angemessen erweisen, zu erheblichen Problemen und Spannungen führen (wikiperdia).
Zurück zum eigentlichen Gedanken: Gerade wenn ich Eltern-Kind-Interaktion miterlebe, wird psychologisches, psychoanalytisches Denken kurz wach, es schießen Fragmente von theoretischen Gedanken in Anwendung auf das Erlebte in mein Bewusstsein – die Qualität der Mutter-Kind-Interaktion und – beziehung einschätzend, genau so schnell verlassen mich solche Gedanken wieder – ausreichend Distanz zum Beruf – es schießen genau so schnell andere Gedanken, sinnliche Eindrücke usw. durch mich hindurch. Als ich später Kati von meinem Eindruck der Mutter-Tochter-Szene berichtete, machte sie mir die Begrenztheit eigener Überlegungen deutlich und erzählte kurz aus dem Leben der Mutter, die neben der Versorgung ihrer Kinder drei Jobs hat, während ihr Mann in der Umgebung viel Zeit damit zubringt, Solaranlagen zu installieren. Viele Mühen der Mutter, des Vaters und auch der beiden Kinder, um das Leben der Familie hier in Portugal zu ermöglichen – seit einiger Zeit bauen sie im Hinterland ein Holzhaus, noch mehr Arbeit.
Die Zeit läuft, ein weiterer Kaffee will zubereitet werden, Frühstück gegessen werden. Schließlich wartet der Strand auf uns – heute wieder mit Sirius…
Sorry, the comment form is closed at this time.