Quinta Weihnachten | 2022 – Eins
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Quinta Weihnachten | 2022 – Eins

18 Dez 2022, Posted by Martin in Portugal 13 | 2022

Es ist Sonntag. Es liegen noch 2 Arbeitstage mit Patient:innen und ein halber Arbeitstag am Schreibtisch vor mir. Sirius wird mich diese Tage begleiten. Am Donnerstag fahre ich dann nach Berlin, treffe tagsüber meinen Bruder. Am frühen Abend werde ich zu Stan fahren, um mit ihm zusammen am Freitag um 6 Uhr mit dem Flieger nach Faro zu gelangen. Es wird mein 13. Aufenthalt auf der Quinta Panoramica, das 4. Mal in diesem Jahr.

Wenn ich auf das Jahr 2022 zurück blicke, fällt mir rasch einiges ein, was dieses Jahr für mich charakterisiert. Es rankt sich um drei Angelegenheiten, die für mich bedeutsam sind. Eine davon beschreibe ich hier: Es ist bisher das Jahr der Quinta für mich gewesen. Wenn nicht unvorhersehbare Dinge passieren, wird es auch zukünftig so sein. In einem Jahr 4 x dort zu sein, spricht für sich. Die Quinta Panoramica, die unglaublich lieben Quinteraner, die lieben Freunde der Familie, die ich immer wieder auf der Quinta getroffen habe, die Tiere der Quinta und nicht zuletzt die Landschaft, die Strände und das deutlich mildere Klima in Portugal sind tief in meinem Herzen verankert. Mehr als dies. Sie passen und gehören zu meiner eigenen Weiterentwicklung. Weiterentwicklung klingt irgendwie komisch. Vielleicht passen das Sichverändern über die Lebenszeit, Älterwerden und damit Veränderungen im Denken und Fühlen besser. Gerade in den letzten Jahren habe ich immer wieder den Gedanken, dass diese Prozesse sehr sehr intensiv sind. Intensiver als in anderen, länger zurückliegenden Jahren. Einen großen Anteil hat die Quinta Panoramica. Mit meinen vielen Aufenthalten in diesem Jahr lebe ich gefühlt in 2 Welten, die sich deutlich voneinander unterscheiden, auch wenn 1 Mensch in diesen beiden Welten lebt. Das Leben in 2 Welten ist spannend, belebend, bereichernd und verwirrend zugleich. Wo gehöre ich hin? Was gibt mir positive Energie? Wie wird die Zukunft, meine Zukunft aussehen? Ganz spontan denke ich, dass ich sofort die überwiegende Zeit eines Jahres auf der Quinta sein würde, wenn es nicht die Notwendigkeit gäbe, das eigene Leben zu finanzieren.

Die Tiere der Quinta tragen wesentlich dazu bei, dass ich die Quinta Panoramica so sehr liebe, wie ich sie liebe. Der regelmäßige und intensive Kontakt zu den Tieren dort und diverse Ereignisse um mich herum und in der Welt haben mich auch spürbar verändert: Ich werde bezüglich der Menschen, zu denen ich Nähe aufbaue und zulasse, immer wählerischer. Mein Menschenbild hat sich zunehmend verschlechtert, zerfällt gefühlt in 2 Kategorien: Gute und schlechte Menschen. Was charakterisiert für mich gute Menschen? Das ist kompliziert. Das ist komplex. Dazu habe ich unendlich viele Gedanken im Kopf. Was zeichnet einen guten Menschen aus? Ich nehme mir jetzt nicht die Zeit, das ausführlich auszuführen. Wer mich kennt, ahnt vielleicht, um was es geht, er empfindet möglicherweise ähnlich. Ich mache es kurz: Ich habe zunehmend mehr die Schnauze voll von Menschen, die anscheinend außer Stande sind, auch mal Abstand von sich selbst zu nehmen, die in allem, was sie tun, immer wieder um sich selbst kreisen. Vielleicht wird es deutlicher, wenn ich beschreibe, was solche Menschen in ihren Leben zu wenig beachten: Ihren Gegenüber. Die Umwelt. Die Tierwelt. Die Schöpfung – oje, das klingt recht religiös. Es besteht die Notwendigkeit, die eigenen Bedürfnisse, den eigenen Standpunkt ein Stück weit zu kennen und auch durchzusetzen, um mit sich selbst immer wieder ins Gleichgewicht zu kommen und einigermaßen gesund zu bleiben. Doch das ist nicht alles bzw. es ist zu ergänzen: Um die Einsicht darin, dass es auch ein Bedürfnis ist, eingebunden zu sein, anderen Menschen auch etwas zu geben, Rückhalt und Nähe zuzulassen. Wenn ich das in meiner beruflichen Perspektive beleuchte, geht es hier zentral um unseren inneren Konflikte, unsere immer wieder im Alltag auftauchend Ambivalenz: Sich einerseits zu schützen und eigene egoistische Bedürfnisse umzusetzen und andererseits die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und sich um die Bedürfnisse des Gegenüber zu kümmern. Wir Menschen sind wie viele andere Lebewesen Rudelwesen. Die Gemeinschaft gibt uns viel zurück, sie schützt uns, sie gibt uns Sinn und ein gutes Lebensgefühl. Es gilt zwischen diesen beiden Polen situativ hin und her wechseln zu können. Tiere und der Umgang mit Tieren hat mich viel gelehrt. Was kann uns denn der Blick auf unsere nähere Umgebung und der Blick auf die weltpolitische Lage nur lehren? Menschen sind es, die ihre eigene Lebensgrundlage zerstören. Menschen sind es, die darüber hinausgehen, sich zu schützen und zu verteidigen, sondern i.d.R. aus materiellen oder ideologischen Gründen, ihr Einflussgebiet regional zu erweitern. Menschen sind es, die sinnlos Krieg führen. Menschen sind es, die zu wenig dankbar und demütig auch sich und die Welt blicken und übersehen, dass sie sich mit zu wenig Würdigung anderer Menschen und der Lebensgrundlage am Ende des Tages einsam und depressiv fühlen. Tja, so ist das, wenn man das auch existente Bedürfnis nach Einbindung, Schutz, Liebe und Geliebtwerden ignoriert. Und ich bin Teil dessen, bin in meinem Handeln und in meiner Existenz Teil der Gattung Mensch. Die Krone der Schöpfung? Nein – eher ein Fehlkonstruktion der Natur. Die Welt kann ohne uns. Das klingt vielleicht alles sehr schwarz und extrem, man könnte auch ableiten, dass ich mit solchen Gedanken ein Weltuntergangsszenario zeichne. Ab und zu empfinde ich auch anders, weniger drastisch und polarisierend. Wenn ich anders empfinde und denke, sehe ich die vielen Menschen, gerade auch jüngere Generationen, die sich einsetzen für andere Menschen und die Natur. Die für eine „bessere Zukunft“ kämpfen. Menschen, die das Gleichgewicht zwischen „Ich – die anderen“ immer wieder gut austarieren. Und ich blicke selbstkritisch auf mich: Möglicherweise oftmals bisher im Leben zu egoistisch. In Partnerschaften auch viel falsch gemacht – aus zu egoistischen Motiven, mein Angewiesensein auf meinen Gegenüber zu sehr ignorierend. Das ist auch meine gefühlte Veränderung: Mir sind heute Freunde, Tiere und die Umwelt viel viel wichtiger als je zuvor. Klingt auch drastisch, klingt so, als wäre ich früher ein Egomane gewesen – ganz so ist es nicht. Vermutlich würden Menschen aus meinem bisherigen Leben mich auch nicht so beschreiben. Damit beende ich diese Gedanken und komme zu den Hunden.

Freddy, Luna und Lotte

So ist es. Das Leben ist endlich. Drei geliebte Hunde der Quinta sind für immer gegangen seit ich die Quinta kenne. Freddy hat mich immer wieder beeindruckt. Er wurde in einem Hundekampf schwer verletzt. Er hatte diverse tierärztliche und physiotherapeutische Behandlungen, er kämpfte sich zurück und lebte noch längere Zeit auf der Quinta. Sein Körper war gezeichnet vom Leben und er war Teil der Gemeinschaft.

Luna, die große Hundedame, war für mich immer etwas weiter weg, als die anderen Hunde. Sie war auch etwas zurückhaltender, schien aber Chefin im Rudel gewesen zu sein. Einige Zeit bevor sie für immer ging, habe ich gemerkt, dass sie alt wird. Ich habe sie auch einige Wochen vor ihrem Tod gesehen. Ich kann mich gut an einen Hundespaziergang an einem Strand erinnern. Sie war schwach, doch es war ihr wichtig, bei den anderen Hunden und den Menschen zu sein. Ich erinnere den Moment, als ich das sah und ich das Gefühl hatte, sie vielleicht die letzten Momente zu sehen. Ich ahnte ihr baldiges Sterben.

In Lotte habe ich mich bei meinem ersten Aufenthalt 2014 sofort „verliebt“. Meik auch. „Lotte, wir möchten ein Kind von Dir“ dachten Meik und ich. Als sie die letzte Gelegenheit vor ihrer Sterilisation nutzte und schwanger wurde, besprachen Meik und ich uns, wir klärten es mit den Quinteranern: Sirius trat 2015 in mein damals noch gemeinsames Leben als Paar von Meik und mir. Klingt vielleicht schräg: als Lebewesen hat Sirius bei mir aller oberste Priorität. Erst kommt er. Erst geht es darum, dass es ihm gut geht. Erst dann wird wichtig, wie es meinen Freunden geht. Lotte ist für immer gegangen. Trost gibt mir – wie bei Freddy und Luna – zu wissen, dass alle drei ein gutes Hundeleben hatten. Sie hatten andere Hunde, sie hatten viel Platz, sie hatten liebe Menschen. Sie hatten ein artgerechtes gutes Leben. Ich muss mich jetzt erst mal damit arrangieren, dass es eine Quinta Panoramica ohne Lotte geben wird. Wenn ich heute auf meine Ankunft am 23.12. denke, sehe ich mich dabei, dass meine Ankunft anders wird: Gut möglich, dass ich meinen Mietwagen auf der Auffahrt zur Quinta parke. Vielleicht werden mich Charlie, Gizmo, Lea und Babsie begrüßen. Wahrscheinlich werde ich nach einer kurzen Hundebegrüßung erst mal zum Grab von Lotte gehen. Ich werde jetzt schon sehr traurig, wenn ich das vor mir sehe. Lotte mach es gut, ich hab Dich für den Rest meines Lebens im Herzen. Dein Sohn Sirius wird mich hoffentlich noch viele Jahre begleiten.

Ich schließe den ersten Post des Blogs zum 13. Aufenthalt auf der Quinta mit Bildern von Lotte ab.

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