Kanada 2019 – eins
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Kanada 2019 – eins

05 Mai 2019, Posted by Martin in Kanada | 2019

Wer den Schatten erträgt, kann die Sonne und das Licht intensiver genießen.

 

Die Gedanken in diesem ersten Post zur Kanada-Reise sind F. gewidmet, auch allen Freunden, die vielleicht mal ähnlich fühlten, insbesondere auch den  Menschen, die in den letzten Monaten ab und zu haltgebend an meiner Seite waren.

 

Anfang Mai 2019, es sind noch 2 Monate bis zum Abflug nach Vancover / Kanada.

Ich blicke auf sehr bewegte Monate zurück. Der Vorlauf dieser z.T. heftigen Bewegungen reicht ins Jahr 2017 zurück. Am 31.12.2017 bohrte ein Ereignis Löcher in den Staudamm meiner seelischen Stabilität einschließlich des normalen Abwehrsystems – die Trennung nach knapp 8 Jahren Partnerschaft von M.  Zuerst nicht als real und nah wahrgenommen, vermutlich geschockt und voller Angst vor dem Dammbruch, wurde das Ereignis geleugnet. Ungefähr 9 Monate wurde gegen den möglichen Dammbruch gearbeitet, agiert, gehandelt bzw. wurde dazu beigetragen, die Gefahr des Dammbruches weiter zu leugnen. Es gab genug andere Dinge zu tun, als sich damit zu beschäftigen. Die heftigeren Stromschnellen fingen Oktober 2018 an: Erstmalig wieder der Wunsch nach partnerschaftlicher Bindung sehr heftig wahrgenommen, erst kam M., danach kam A., andere schauten kurz vorbei. Ab dem 22.2.19 brach der Damm dann endgültig. F. drang in mein Leben, meine Seele und sehr tief in mein Herz ein, obwohl mir von Anfang an klar war, dass dies eine verhängnisvolle Affäre wird, was sich bewahrheitete: Wenige Wochen funktionierte es wunderbar, die Verbindung im Moment, im Hier und Jetzt und nicht im Morgen und Übermorgen zu leben, tiefe Nähe und  Geborgenheit, heftige Körperlichkeit, stellenweise leidenschaftlich geführt. Das Herz wollte mehr, fing an, sich in heftigen Attacken zu melden, litt unter den Trennungen nach intensivster Nähe. Tiefe, kaum aushaltbare Verlassenheitsgefühle aller schmerzhaften, je erfahrenen Trennungen wurden reaktiviert, sie führten zur Begegnung mit meinem Schatten, den ich so sehr viele Jahre in dieser Form nicht mehr erlebte. Solche Schatten sind normal, werden allerdings im normalen Betrieb des Alltags vom Bewusstsein fern gehalten, spätestens mit dem Bewusstsein unserer Endlichkeit ahnen wir den Schatten, wehren ihn aus Angst ab. Diese Zeit ist auch extrem lehrreich, wenn ich auf mich selbst schaue und Seiten meiner Persönlichkeit (Fähigkeit zu Aggressionen und respektlosen Grenzüberschreitungen), die starke Schamgefühle auslösten,  und meiner Zerrissenheit (Wunsch nach Halt in intensivster Beziehung versus Schutz vor Verletzungen durch Distanzierung aus der Beziehung) emotional spürbar werden.

Die Ausläufer des Dammbruchs werden noch etwas andauern. Die Erfahrungen der letzten Monate werden Spuren hinterlassen, werden mich definitiv verändern. Im Moment des Dammbruchs ist noch nicht vorstellbar, dass das vom vergifteten Wasser, das der Staudamm in Schach hielt, überschwemmte Land jemals wieder bewohnbar wird – zu vernichtend waren die Gefühle im Moment des Bruches. Doch inzwischen ahne ich, dass auf den überfluteten Feldern mal wieder Blumen wachsen werden – es braucht Geduld und Abstand, den ich vielleicht auch in Kanada finde.

Wer den Schatten erträgt, kann die Sonne und das Licht intensiver genießen. Das Licht und die Sonne,  die F. immer wieder in mein Herz bringt, sind so strahlend, so wunderschön, so warm und so heftig, dass ich den Schatten ertrage, der in den letzten Monaten meine Seele sich rabenschwarz anfühlen ließ. Doch die Schattenzeiten werden kürzer, weniger intensiv, befreit von Aggression. Ich beginne emotional zu akzeptieren, dass F. nur ein Besucher in meinem Lebenshaus ist. Meine Tür wird immer für ihn geöffnet bleiben, egal in welcher Art von Verbindung 🙂

„Liebe ist das Kind der Freiheit, niemals das der Beherrschung.“ (Erich Fromm)

 

14. Mai 2019

Ich stehe auf den überfluteten Feldern und ahne, dass ich noch eine Reise im Prozess der Bewältigung dieses Desasters vor mir habe. Doch ein zurück gibt es nicht. Ich habe zudem den Eindruck, dass ich noch nie in meinem Leben so bewusst einen solchen Prozess auch emotional durchlebt habe und das alles, auch die Verlassenheitsgefühle zulassen möchte. Weiter begleitet mich die Fantasie, dass mich diese Lebensphase zumindest ein wenig verändern wird. Nur selten habe ich dabei die Sorge, dass auf den Feldern niemals mehr etwas wachsen wird.

Ab und zu  kommt F., der den Dammbruch mit auslöste, vorbei. Die Frage eines Freundes, warum ich mich weiterhin auf die Treffen einlasse, wenn ich doch danach leide, ist für mich einfach auflösbar: Weiterhin tiefe Verbindung, Gespräche und Leidenschaft, das Gefühl einer einzigartigen Verbindung taucht weiterhin gelegentlich auf. So etwas aufgeben? Nur weil ich dafür einen Preis zahle? Es scheint inzwischen Teil unserer Kultur zu sein, am besten nichts für etwas Schönes und Positives zu zahlen. Ich toleriere den Preis in Form von negativen Gefühlen als dazugehörig. Außerdem zahle ich inzwischen weniger, das Leid danach wird spürbar milder, erträglich. Der Wunsch nach mehr flammte kurz auf. Ich gebe ihn auf, verabschiede mich derzeit von meinen süßesten Fantasien,  beginne auch emotional zu akzeptieren, dass es so ist, wie es ist. F. ist in der Zeit, die zwischen zwei Treffen liegt, etwas weiter weg. Er ist ein kleiner Vogel, den ich, nachdem er bei mir war, in der Hoffnung in die Freiheit fliegen lasse, dass er bald zu mir zurückfliegt und mich besucht.  Ich weiß nicht, wo er hinfliegt und was er dort macht, wünsche ihm nur, dass er auf sich aufpasst. Auch wenn er irgendwann den Weg zu mir nicht mehr finden wird, die Erfahrungen mit ihm erscheinen mir in ihrer Intensität und in der Art unserer Verbindung so einzigartig, dass der Vogel zumindest in meinem Herzen für immer bleiben wird. Im Moment des Schreibens erfasst mich eine Welle der Trauer… bis bald, kleiner Vogel…

15. Mai 2019

Morgen kommt der Vogel zu mir geflogen. Ich freue mich irrsinnig darauf. F. wird auch über Nacht bleiben. Es wird eine intensive und schöne Zeit. Am Samstag werde ich den Vogel wieder fliegen lassen und bin gespannt darauf, wie schwer es mir fällt. Einfach nur dankbar sein für den Besuch.

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