Kanada 2019 – Drei
08 Juli 2019, Posted by Kanada | 2019 in
Der gestrige Flug in der Businessclass der Lufthansa mit der Boing 747war außerordentlich komfortabel: Viel Beinfreiheit, ein Sitz der sich in verschiedenste Positionen einstellen ließ, sehr gutes Essen auf Porzellan serviert, ein gutes Entertainmentprogramm.

Ich döste, hörte Musik und sah mir zwei wunderschöne und zugleich traurige Dramen an – „Call Me by Your Name“ (Italien, Frankreich, USA, Brasilien, 2017) und „Beautiful Boy“ (USA, 2018). Nicht zufällig suchte ich zwei Filme aus, die zu meiner derzeitigen Verfassung passten: „Call Me by Your Name“ ist eine wunderschöne Story um eine unmögliche Liebe in einer seltenen, tiefen und ungewöhnlichen Verbindung. In „Beautiful Boy“ geht es um familiäre Verstrickungen, um die Liebe eines Vaters zu seinem süchtigen Sohn, dessen Problem nicht die Sucht ist, sondern das Loch in seinem Herzen, das er mit Drogen zu kompensieren sucht. Es rührte mich sehr an, wie verzweifelt der Vater um seinen Sohn kämpft. Dramen schaue ich gerne, sie berühren mich, doch derzeit nehmen sie mich viel intensiver mit, was Folge meiner aktuellen emotionalen Dünnhäutigkeit ist. Ich döste eine zeitlang, schlief zu Rachmaninow traurig ein, die Sonnenbrille verdeckte meine Tränen, die ich nicht unterdrücken wollte, ich entfernte mich im Flug schnell von meinem Zuhause, fühlte eine intensive Verlorenheit in der Welt, die mich derzeit im Leben gelegentlich aufsucht.
Ich nehme diese „Selbstbekenntnis“ zum Anlass, etwas zur Normalität und Nicht-Normalität des Einzelnen, zu Selbstoffenbarungen und zur Art und Weise, wie ich blogge, zu schreiben. Dies ist mir auch daher ein Bedürfnis, da ich wenige Tage vor dem Abflug eine kritisch klingende Rückmeldung zu meinem „Seelenstriptease“ bei meinem ersten Post zur Kanadareise erhielt. Viele Menschen lieben in voyeuristischer Neigung den Striptease von Körpern, schauen gerne zu, wie Menschen sich der Kleidung entledigen und lassen sich dadurch anregen – sie haben aber anscheinend ein Problem mit dem Voyeurismus, der sich auf die Innensicht eines Menschen, auf Seelisches bezieht – komisch eigentlich.
Ich erwarte von niemandem, dass er in dem Ausmaß offen über den Blick in das Innere spricht oder schreibt wie ich es gelegentlich tue. D.h. für normal im Sinne, dass der Durchschnitt der Menschen so handelt, halte ich es nicht. Ich bin schon durch meinen Beruf trainiert darin, verschiedenste, vielschichte und tiefgehende Betrachtungen des Seelenlebens vorzunehmen, da kann und wird der Blick in das eigene Innere nicht ausbleiben. Gut möglich, dass ich es damit oft übertreibe, auch damit, manches offen auszusprechen. Gedanken und Fantasien über das Eigene, über den Blick auf andere Menschen, Beziehungspartner und das Fremde dann auch offen auszusprechen, ist nicht mein Problem: Ich stehe (meist) zu den Dingen, die ich äußere, die ich manchmal auch impulshaft äußere. Ich bin selten verletzbar, wenn mein Gegenüber damit nicht umgehen kann, und ich bin schon gar nicht erpressbar. Scham erlebe ich nicht intensiv, wenn ich zu vermeintlichen Schwächen stehe oder sie selbst offenlege bzw. wenn ich über vollkommen irrationale Liebesdramen schreibe. Ich begrüße Kontakte zu Menschen, die ähnlich offen sprechen können, gleichwohl mag ich auch oberflächliche Kontakte und Smalltalk. Als ich die Rückmeldung über meinen „Seelenstriptease“ hörte, wurde mir noch mal wieder deutlich, dass dies eben ein Teil meiner eigenen, höchst subjektiven Normalität ist. Ich definiere Normalität hier nicht in naturwissenschaftlichem Sinne (Normalverteilung blabla), sondern eher so: Alles was mich täglich umgibt, jeder eigene Blick auf die Realität, jede Wahrnehmung und jedes Erleben von mir selbst, dem Gegenüber und dem intersubjektiven Feld dazwischen konstituiert meine eigene subjektive Normalität. So wie ich die Welt erlebe, ist es für mich normal. Das heißt noch lange nicht, dass ich davon ausgehe, dass mein Gegenüber ähnlich fühlt und denkt. Wenn Menschen meist wertend „das ist doch nicht normal“ über das Verhalten des Gegenübers sprechen oder Rückmeldungen dazu geben, negiert das, dass eben jene Normalität etwas subjektiv Konstruiertes ist und nichts in wissenschaftlichem Sinne und schon gar nicht in psychopathologischem Sinne „normales“. Um dies zu erkennen und im Zwischenmenschlichen zu leben, bedarf es nicht mehr als einen gelegentlichen Flug über sich selbst: Sobald ich in meiner Fantasie in einen kleinen Helikopter steige, ein wenig über mir schwebe und auf mich herunterblicke, mich also von mir selber etwas distanziere, fällt es mir leichter, auch meine eigens kreierte Normalität mit Distanz zu betrachten und eben anzuerkennen, dass mein Blick auf die Realität für mich so in Ordnung und normal sein mag, für andere aber noch lange nicht, da sie anderes erfahren und erleben. Leben und leben lassen…

Ich weiß schon, dass ich derzeit sehr offen mit dem Blick in meine Seele umgehe und dass es schon auch verstörend sein kann, wenn ich z.B. eine verhängnisvolle Liebes-Affäre und die Folgen für mein seelisches Gleichgewicht in einem Urlaubsblog verarbeite. Ich habe beim Bloggen nie den Anspruch, schöne Reisegeschichten zu schreiben, alles in immer bunten und fröhlichen Farben zu malen oder viele Menschen damit zu erreichen. Tiempo-muerto ist zunächst mein eigenes Reisetagebuch für die Ewigkeit und ist der Ersatz für das Schreiben von Postkarten. Schreiben dient für mich dem Sortieren meiner Gedanken und Gefühle. Ich möchte erlebnisnah schreiben, assoziativ locker und nicht statisch – Romane mit stringenter Handlung und zeitlicher Ordnung sind vielleicht besser zu lesen, doch sie langweilen mich, da kein Mensch stringent und in einer logischen Reihenfolge denkt und fühlt, die Seele ist alles andere als zeitlich sortiert, logisch oder stringent. Wenn ich nun Eindrücke von der Kanadareise hier in meiner Art und Weise verarbeite, geht es gar nicht anders, als dass mein aktueller „Wahnsinn“ auch in das Erleben meines Urlaubs und somit auch hier einfließt. Nun zurück zum Urlaub.
Sehr schnell nach Ankunft am Flughafen in Vancouver hatten wir unsere Koffer, die außereuropäische Einreise einschließlich der Zollformalitäten ging sehr schnell und die Bahn fuhr uns in gut 20 Minuten in die City. Da wir der Zeit weggeflogen sind, kamen wir quasi nur wenige Stunden später bezogen auf die Zeit in Deutschland hier an. Wir flogen vormittags ab, es war früher Nachmittag hier nach Ankunft, tatsächlich ist Deutschland 9 Stunden voraus. So liefen wir mit unseren Rollkoffern auch die knapp 3 km von der Central City Station zum Hotel, da es hier noch recht früh war und wir die ersten Eindrücke der Stadt laufend erleben wollten. Den Rest des Tages war ich ziemlich gaga im Kopf, völlig übermüdet und stellenweise auch mal wieder überflutet von tieferen negativen Gefühlen, die eigentlich nicht zu Urlaub passten. Ich lief noch etwas wirr herum, dachte mir nur, dass man zwar den Ort wechseln kann, aber eben nicht die grundlegenden Stimmung, in der man sich befindet, sie reist mit. Ich flel totmüde ins große Bett, in dem K. bereits lag und schlief, schlief selbst sofort ein und wie ein Stein 8 Stunden durch.
Am ersten ganzen Vancouvertag wachte ich um 6 Uhr ausgeschlafen in deutlich besserer Stimmung auf. Der in Hotelnähe befindliche Stanleypark war im Visier. Dieser Park befindet sich im Norden von Vacouver quasi auf einer Insel, 8 km ist die Seawallpromenade, die um den Park herum führt, lang – ein wundervoller Park, so störte auch der leichte Nieselregen nicht, der uns durchgängig befeuchtete. Nach dem ausgiebigen Spaziergang erholte ich mich im Hotel, während K. noch weiter im Park spazieren ging.
Bilder vom Weg zum Park und vom Park…










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