Kanada 2019 – zwei
05 Juli 2019, Posted by Kanada | 2019 in
5. Juli 2019
Morgen geht die Reise los. Seit einem Jahr läuft der Praxisbetrieb, seit einem Jahr arbeite ich selbständig. Mit fiel gestern auf, dass ich seitdem nie mehr als 1 Woche Urlaub hatte. Obwohl ich selbständig bin und mir Urlaub nehmen kann, wie ich will, habe ich seit Juni 2018 nie mehr als eine gute Woche frei gehabt. Zum einen musste ich das Gefühl entwickeln, dass die Selbständigkeit läuft, ich habe unzählige Patientenbehandlungen durchgeführt, meine „Kunden“ kommen von alleine. Die Praxis läuft. Zum anderen bin ich seit Anfang 2018 Single, inzwischen ein Jahr und sieben Monate, eine für mich sehr ungewöhnlich lange Zeit ohne Gefährten im Leben. Ich frage mich manchmal, wie lange ich das aushalte, ich bin für das Leben mit einem Mann an meiner Seite gemacht, ich bezweifel, dass ich mich jemals gut für viele Jahre als Single einrichten werde. So bin ich es auch nicht gewohnt, länger als eine Woche ohne Gefährten weiter weg in den Urlaub zu fahren. Ich war seit Praxisgründung eine Woche in Barcelona, ich war verlängerte Wochenenden in Köln und Berlin, ich hatte eine Fortbildungswoche in Lindau – das war es. Wenn ich auf die Jahre seit 2003 blicke, ist das ungewöhnlich. Es gab viele Auszeiten – 2 x Costa Rica, 3 x Malaysia, Venezuela, Spanien, Gran Canaria, Furerte Ventura, diverse Male Barcelona, diverse Male Portugal. Nach einem Jahr ohne längeren Urlaub als eine Woche bin ich urlaubsreif.
Ich bin urlaubsreif. Die Auswirkungen unzähliger Trennungen – nach langjähriger Partnerschaft, vom guten Team in der Psychiatrie, vom kleineren Team in der Psychotherapiepraxis und seit 2018 Trennungen von zwei Affären und 2019 unzählige Trennungen von F. – sind weiterhin spürbar. Ich spüre weiterhin die Auswirkungen der letzten, unglaublich intensiven, schönen und auch sehr traurigen Zeit mit F. Ich habe weiterhin den Eindruck, dass mich die unmögliche und mögliche Liebe zu F. mit dem Vorlauf der Trennungen seit 2018 in die emotionalste und tiefste Krise meines bisherigen Lebens geführt hat. Ich glaube schon, dass ich auf dem Weg aus dieser Krise bin, gleichwohl erfasst mich immer wieder kurzzeitig eine heftige Welle dunkelster Gefühle und Gedanken. Heftige Gefühle der Angst, der Trauer, der Wut und der Verlassenheit mit lichten Momenten der Ausgeglichenheit und der Zuversicht, die in kurzer Zeit aufeinander folgen, sind körperlich wahnsinnig anstrengend, hätten mich fast in den Wahnsinn getrieben – ich bin urlaubsreif.
Ich werde mit einem meiner besten Freunde K. für gut zwei Wochen nach Kanada fliegen. Ich habe die Ehre, von ihm zum Businessclass-Flug mit Lufthansa eingeladen zu werden. Wenn ich nicht im Lotto gewinne, werde ich sicherlich nie wieder Businessclass fliegen, auf den Flug freue ich mich sehr, ich fliege generell gerne. Denn Flieger bringen mich zu Auszeiten, sorgen dafür, Abstand zum normalen Wahnsinn des Alltags zu finden, führen mich zu schönen Plätzen auf dieser Welt. Ich blicke mit gemischten Gefühlen auf die anstehende Auszeit: Ich freue mich darauf, mit K. eine gute Zeit zu verbringen. Wir haben die Spots in Kanada festgelegt…

…wir werden 4 Nächte in Vancouver sein, danach fahren wir nach Vancouver Island, 2 Nächte in Victoria, 3 Nächte in Tofino, 1 Nacht an einem Ort dazwischen, 5 Nächte in Port Hardy, wir beenden die Reise in Vancouver, sind noch einmal 3 Nächte dort.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass K. und ich in einem ähnlichen Urlaubsmodus sind: Bei aller Festlegung der Orte nichts weiter festzulegen. Der Lonelyplanet-Reiseführer von Vancouver ist anregend, doch feste Planungen gibt es nicht. Ohne Wecker wach werden, langsam wach werden, den ein oder anderen Spot am jeweiligen Ort erkunden, sicherlich diverse Gespräche miteinander führen und ganz viel im Chillmodus Nixtun. Ich werde die Ereignisse der letzten Monate sacken lassen und ich werde sehr wahrscheinlich ganz viel schreiben. Ab und zu möchte ich bloggen, Bilder und Eindrücke der Reise posten, meine Freunde teilhaben lassen, so dass sie selbst – gerade im Arbeitsmudous – ab und zu Auszeit vom Alltag haben können, während sie mir gelegentlich gut 7800 km entfernt folgen können. Und ich werde voraussichtlich viel an der Geschichte von F. und mir schreiben. Schreiben sortiert meine Gedanken, beruhigt meine Gefühle. Weiterhin habe ich das Gefühl, dass mich diese Krise verändern wird, Spuren hinterlassen wird. Die verhängnisvolle Affäre mit F. hat alte Wunden aufgerissen, so werde ich wohl auch einiges über meine Familie aufschreiben, ich werde mir Gedanken über den Sinn und Unsinn meines Lebens machen – dies alles unter der Überschrift „Eine unmögliche und mögliche Liebe“. Ich werde sicherlich täglich an F. denken, der weiterhin einen Raum in meinem Herzen hat.
Und wieder taucht, während ich schreibe, ein Begriff auf, der mir seit einigen Jahren gelegentlich in den Sinn kommt: Demut. Demut als eine Tugend, die aus dem Bewusstsein unendlichen Zurückbleibens hinter der erstrebten Vollkommenheit hervorgehen kann. So wird es mit F. niemals vollkommen werden, wir werden nie ein Paar sein. Das ist ein zunehmend häufiger erlebtes Fazit resultierend aus der doch sehr großen Unterschiedlichkeit zweier Seelen und deren Träger. Wir bleiben hinter der Vollkommenheit unendlich zurück. Es ist in vielen anderen Lebensbereichen enorm entspannend, nicht die Vollkommenheit anzustreben – Streben nach Vollkommenheit, Perfektionismus ist eine Krankheit unserer Zeit: Immer höher, immer schneller, immer mehr mit dem Ziel der Perfektion – mir wird kalt, wenn ich das schreibe. Ich bin dankbar für das, was zwischen F. und mir möglich war, möglich ist, und vielleicht auch zukünftig möglich sein wird, dankbar für alle Momente intensiver Verbindung und Bindung mit einem für mich sehr attraktiven Menschen, einem Geliebten, in der Verbindungsstelle der beiden Glaskolben der Sanduhr des Lebens, nicht oben im Glaskolben der Zukunft und nicht unten im Glaskörper der Vergangenheit, einfach mittendrin an der Stelle, an der der Sand meines Lebens läuft, im Hier und Jetzt. Zur Demut gesellt sich Dankbarkeit gegenüber einer in unserer fucking Kultur nach meinem Eindruck so weit verbreiteten Neigung, nie mit dem zufrieden zu sein, was man hat. Ich danke dem Schicksal für den Wohlstand, den ich erleben kann. Ich danke meinen Freunden, dass sie ab und zu da sind. Und ich danke F., dem kleinen süßen Vogel, der ab und zu zu mir geflogen kommt.
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