PORTUGAL WINTER 2021 | Fünf
23 Dez 2021, Posted by Portugal | 2021 inMittwoch Abend. Mit Regelmäßigkeit verändert sich hier das Erleben der Zeit, der Ereignisse und der Tagesabläufe im Verlauf der Auszeiten. Die Zeit wird flüssiger. Irgendwann fühlt es sich so an, als wäre es so etwas wie mein normales Leben. Bei der jetzige Auszeit umso mehr, da ich alleine mit Olaf auf der Quinta bin, Kathi ist weg, es sind keine Gäste in den beiden Appartements auf der Quinta. Alleine sind wir nicht wirklich, wenn ich die vielen Tiere mit einbeziehe und die sind dabei, prägen die Quinta maßgeblich mit. Immer wieder sind andere Menschen da. Mittwochs ist Enkel-Tag für Olaf, heute war der 7-jährige Xavier da, Olaf hat mit Birgit und ihm Plätzchen gebacken. Der gefühlte Abstand zum sonstigen Leben in 2148 km Luftlinie Entfernung wird größer. Per whatsapp, selten mal per Videotelefonat oder in Gedanken bin ich ab und zu bei den ein oder anderen Menschen in der Heimat. Ich lese gelegentlich Nachrichten u.a. aus Deutschland. Der Abstand zur Arbeit fühlt sich auch groß an. Bei meinen täglichen Erledigungen hier bekomme ich ansatzweise einen Eindruck, welche Arbeit hier tagtäglich erledigt werden möchte. Die Quinta will in Schuss gehalten werden, selbst das Areal, auf dem sich die Menschen hier regelmäßig bewegen, ist so groß, dass allerhand anfällt – das Gebäude (Küche-Wohnbereich, Bad, Gästezimmer, Schlafzimmer), die große Terrasse, der große Kiesgarten, die Parkfläche vor dem Haus, der Bereich um den Carport, die Auffahrt und die sonstigen Wege, das Schweineareal, Esel- und Pferdestellplätze. Dann gibt es noch genug Fläche auf der 32 ha großen Quinta, die auch Arbeitsmöglichkeiten bietet.
Bei diesem Aufenthalt habe ich deutlich weniger Drang, an Strände oder Orte zu fahren, Ausflüge zu machen. Es gibt auch Tage, an denen Flecha, mein Mietwagen, untätig herumsteht. Ich frage Olaf immer wieder mal, was anliegt. Es macht mir viel Freue, irgendwo körperlich etwas zu tun. Selbst Tätigkeiten wie Küche reinigen oder Kiesgarten harken sind für mich wie Mediation. Abends bin ich regelmäßig körperlich erschöpft, geistig voller wunderbarer Eindrücke des Tages. Die Abende enden manchmal mit Olaf vor dem TV-Gerät, über Satellit schauen wir deutsche Sender. Ich wusste bisher nicht, dass es z.B. schweizerische Varianten von Sat1 gibt. Das Programm ist das gleiche, die Werbung aber andere und in Schweizer Deutsch. Und ich schaue Sendungen, die ich in Deutschland nicht schauen würde, Staffeln in denen Hochzeiten koordiniert werden, Bauern Frauen suchen oder ähnliches. Letzte Nacht hatte ich zunächst wenig Platz im Bett. Lotte schläft regelmäßig zu meiner Rechten eingerollt. Charlie schläft seit einigen Tagen auch in meinem Zimmer, auf dem Sofa. Gestern wollte sie auch in Bett, sie schlief zu meiner Linken – ich also recht eingequetscht in der Mitte. In der Nacht wurde ich wach, als Charlie winselnd vor dem Bett saß und aus dem Haus gelassen werden wollte. Tagsüber legt sich Gizmo ab und zu auf das Sofa des Gästezimmers. Auch er lag gestern zum Einschlafen zunächst in meinem Zimmer. Das ging schief – er verließ das Zimmer und kotzte erst mal gemütlich sein wenige Stunden vorher zu sich genommene Futter auf die Fliesen des Wohnbereiches. Ich stand auf, machte den großen Haufen weg und ließ Gizmo raus. Er ist schließlich ein großer Junge und kann generell draußen schlafen. Schließlich muss ja auch Jemand aufpassen, ob sich Nachts ein Wildschwein oder andere Lebewesen auf die Quinta verirren. Und er hat einen sensiblen Magen, kotzt immer, wenn er zu viel gefressen hat.
Gestern fuhr ich mit Olaf wie geplant zur Casa in Barao de Miguel. Gäste hatten die Casa verlassen, sie musste geputzt werden, da neue Gäste ankommen würden. Wie die beiden Appartements hier auf dem Gelände wird die Casa über AirBNB vermietet, die Gäste der Casa haben vermutlich oft gar keinen direkten Kontakt zu Olaf oder Kathi, sie wissen, wo der Schlüssel zur Casa erhältlich ist. Als Gast die Casa aufzusuchen ist eher das, was AirBNB bietet – ein Appartement für sich alleine, ohne viel Kontakt mit dem Eigentümer. Die beiden Appartements hier auf der Quinta bieten das auch, doch wer es möchte hat hier „Familienanschluss“ und häufige Kontakte zu den Tieren. Lotte begleitete uns zum Putzen, blieb allerdings faul im Wagen liegen.
Ich fegte das Obergeschoss, schaute, ob die Terrasse in annehmbarem Zustand ist, bezog das Bett neu, Olaf reinigte den Wohnbereich, die Küche und das Bad im Erdgeschoss.
Auf dem Rückweg fuhren wir an einem größeren Grundstück vorbei, auf dem ein kleines Haus, eher eine Ruine stand. Das Grundstück hatte ich zuvor auf www.idealista.pt gesehen. In einem der Gespräche mit Olaf entstand die Fantasie, was ich mit überschüssigem Geld, das sich auf meinem Konto seit Beginn meiner Selbständigkeit 2018 ansammelt, machen könnte. Ich habe kein Interesse daran, mir in Deutschland eine Immobilie zu kaufen – die Preise sind einfach unverhältnismäßig hoch und ich bin für jene Preise zu alt, ich möchte die Raten nicht abbezahlen, bis ich 120 Jahre alt bin. Ich habe kein Interesse daran, Aktien zu kaufen – ohne viel Kenntnis darüber halte ich das System Aktien für… hm… unmoralisch, wenig verstehbar und meinem Denken zu weit entfernt. Dieses Geld auf meinem Konto möchte, dass ich etwas damit mache, irgendwas, was mit „Altersvorsorge“ zu tun hat. Ich merke immer wieder, dass ich in solchen Konstrukten und Denkschemata nicht groß geworden bin, das ist mir alles fremd, zu abstrakt.
Ich könnte ein wenig Land hier kaufen. Vermutlich kann das der ein oder andere 2148 km entfernt nicht verstehen. Was soll ich mit 5000 qm Land oder mehr anfangen? Solche Ländereien sind oftmals weder ans Strom- und Wassernetz noch an die Kanalisation angeschlossen. Es stehen Büsche oder Bäume herum, die Fläche ist von wildem Gras bzw. Unkraut überzogen und eventuell steht eine alte kleine Backsteinruine darauf. Baugenehmigungen sind hoch kompliziert bis ausweglos. Mir doch egal. Geld auf dem Konto verliert an Wert. Mein Bauchgefühl sagt mir, ein Stück Land verliert weniger an Geld. Aber was mache ich damit? Folgende Fantasien sprangen an: Eine Umzäunung, die klar markiert – diese Fläche gehört Martin. Eine Solaranlage, die Strom liefert. Eine Stellfläche für einen Camper. Ein Mobile Home, so etwas wie ein Wohnwagen, allerdings nur auf sehr kleinen Rädern, auf denen man es provisorisch bewegen kann – dafür bräuchte man nicht so etwas auswegloses wie einen Bauantrag. Und Mobile Homes haben mehrere „Zimmer“ und ein kleines Klo und eine Dusche.
Wir fuhren also an dem Gelände vorbei: Ungeeignet – zu nah an der N125 – die Straße, die u.a. von Lagos nach Sagres führt und die zeitweise recht stark befahren ist. Hier fahren alle Menschen entlang, die z.B. zum Surfen an die rauen Strände der Algarve fahren möchten. Bevor wir zum Casa-Putzen losfuhren tätigte Olaf noch ein Telefonat mit einem Immobilienmakler – ich sah ein anderes Grundstück auf idealista – eine kleine Oase, ein angelegter sehr großer Garten mit Obstbäumen, auf dem ein kleines Haus steht. „Illegal“ äußerte der Makler: Es gibt hier diverse Gebäude, für die nie ein Bauantrag gestellt wurde. D.h. es könnte passieren, dass das Gebäude abgerissen werden muss, vermutlich ist so ein Abriss unwahrscheinlich. Die Landkauf-Idee ist zunächst nichts anderes als ein Hirngespinst – aber ein sehr schönes.
Ich vermisse schon die Strände, das Meer. Es wäre auch das erste Mal hier, ohne dass ich baden oder surfen gehe. Ich war die letzten Tage zumindest kurz an einem sehr ortsnahen Strand direkt in Lagos.
In Hannover besitze ich kein PKW – völlig überflüssig, da man überall mit der Stadtbahn oder dem Fahrrad hinkommt. Hier braucht man ein PKW. Ich genieße hier PKW-Fahren, weil ich ganz gerne fahre und vor allem weil ich die Atmosphäre beim Blick auf die Umgebung genieße. Viele Strecken sind mit vertraut, ich kenne die zahlreichen Kurven und bergigen Straßen abseits der ausgebauten Straßen.
Eine meiner Lieblingsstrecken von Lagos zur Quinta führt über Espiche. An einer Stelle fährt man durch eine Senke und dann der Berg hoch. Nicht selten bremse ich vorher ab, um dann mit zunehmendem Tempo durch die Senke den Berg mit Tempo 100 hinaufzufliegen. In meiner Fantasie hebt mein Wagen dann auf der Bergspitze ab und ich fliege zur Quinta.
Es wird derzeit früh dunkel. Wenn ich denn unterwegs bin, sehe ich zu, vor Sonnenuntergang so um 17 Uhr auf der Quinta zu landen. Ich liebe es, die Auffahrt zur Quinta hochzufahren und von den Hunden bellend begrüßt zu werden. Immer wieder genieße ich die unterschiedlichen Lichtatmosphären hier.
Ich glaube ich erwähnte es bereits: Die Interaktionen mit den 5 Katzen hier sind dieses Mal deutlich ausgeprägter. Das mag daran liegen, dass die Katzen aktuell weniger Menschen hier vorfinden, die sie streicheln, sie finden weniger Schöße, auf denen sie es sich bequem machen können. Kaum sitze ich irgendwo, möchte eine Katze unterhalten werden. Manchmal schnurren sie so laut, dass ich meine eigenen Worte meiner Selbstgespräche kaum noch verstehen kann.
Die beiden Säue Dolly und Shelly erhalten in dieser Zeit weniger Ausläufe. Ich besuche sie täglich mindestens einmal zum füttern. Neben ihrem Schweinefutter erhalten sie essbare Küchenabfälle. Ich ließ sie am Mittwoch raus, sie schienen froh über den Auslauf zu sein, Dolly rannte in einem hohen Tempo grunzend los, Shelly hinterher direkt in den Kiesgarten. Sie fraßen genüsslich irgendwelche Samenkapseln, die ein Baum abgeworfen hat.
Vor der Plätzchenbackaktion fiel Olaf auf, dass Butter fehlte. So fuhr ich nach Bensafrim, um Butter zu kaufen. Vor einem kleinen Minisupermarkt wartete ein Hund auf seinen im Laden befindlichen Halter.
Inzwischen ist Donnerstag Morgen. Ich unterbreche jetzt das Schreiben und schaue mir die Bilder der Nacht und des Morgens an, wähle wenige aus, bearbeite sie und bin gleich zurück.
Kaum geschrieben, schon ist es anders. Auch das scheint Leben hier und Leben 2148 km entfernt zu unterscheiden. Nicht nur die Zeit verflüssigt sich, auch Pläne tun es. Bevor ich meinen Plan, die Bilder der Nacht und des Morgens anzuschauen, auch nur ansatzweise starten konnte, kam Olaf auf die Terrasse. Wir verstrickten uns in ein intimes Gespräch über die familienhistorische Geschichte der Quinta, eine Geschichte voller Krieg und Frieden. Wir unterbrachen das Gespräch, da Olaf los musste um die Pferde zu füttern. Kaum war er um das Haus gegangen, hörte ich ihn rufen. Ich eilte hin. Was musste ich erblicken: Dolly. Wie oft im Leben müssen wir die Erfahrung machen, dass wir wissen, wie es ist, um kurze Zeit später festzustellen, dass es doch anders ist. Ich war mir fast 100 % sicher, dass ich die Metallzäune des Schweinearreals so gut mit Spanngurten gesichert habe, dass Ausbruch unmöglich ist. Dolly lehrt mich eines besseren. Es ist also anders. So ändert sich auch mein Plan. Der aktuelle Plan lautet, nach Pipimachen Arbeitskleidung anzuziehen. Ich werde Draht aus dem Materialcontainer holen und zum Schweinearreal gehen. Dolly darf währenddessen auf der Quinta herumlaufen und das ein oder andere, was die Natur zur Verfügung stellt, fressen. Nach Inspektion des Schweineknastes werde ich Schweinefutter zubereiten, um Dolly zurück in den Knast zu locken. Kurz noch diesen Post uploaden, dann geht es los. Ich werde später berichten.
Donnerstag Abend. Zweimal habe ich Dolly heute eingefangen. Beim ersten Mal folgte sie mir rasch in ihr Areal, ich sicherte die Gitter. Eigentlich wollte Olaf und ich um ca. 10 Uhr zum Einkaufen fahren. Am Samstag kommen Kathi und Stan von Deutschland aus zurück zur Quinta, mit Ihnen Marco, den ich inzwischen seit einiger Zeit kenne, auf der Quinta kennenlernte, seine Frau und eine Freundin. Es wird für viele Menschen gekocht. Und am 26.12. feiert Marco hier seinen 50. Geburtstag. Ich kam vor dem Einkauf noch dazu, meine schlammbedreckte Arbeitskleidung loszuwerden und eine Kleinigkeit zu Frühstücken. Kurz vor der Abfahrt zum Einkauf – es war inzwischen 12 Uhr – rief mich Olaf erneut – Dolly war schon wieder entkommen.
Wir entschlossen uns dazu, dass sie einen ausgiebigen Spaziergang haben soll, während wir einkauften, Flecha fuhr uns nach Lagos. Eine gute Stunde später kamen wir, Flechas Kofferraum und die Rückbank waren voller Kisten und Tüten, zur Quinta zurück. Ich zog mir wieder Arbeitsklamotten an, bewaffnete mich erneut mit Draht und Zange und besichtigte das Schweinearreal. An der Rückseite entdeckte ich eine gut 30 cm hohe Lücke zwischen unterer Gitterstange und Lehmboden. Irgendwie kaum vorstellbar, dass Dolly sich da durch zwängt, für unmöglich hielt ich es nicht. Ich besorgte eine Palette, die ich an den Zaun arretierte. Dolly beäugte die ganze Zeit meine Aktion von Innen, ich musste gut achtgeben, als ich Drähte durch den Zaun führte, da ich davon ausgehe, dass Dolly auch Finger frisst. Dolly schien von der Aufregung des Tages müde, sie legte sich mit Shelly genau an die Stelle und schlief ein.
Am heutigen Morgen erlebte ich die Atmosphäre des Ausblicks von der Terrasse in einer mal wieder für mich neuen Weise: Ich sah Nichts bzw. kaum etwas, da es sehr diesig neblich war.
Olaf ist vor Kurzem zu Bett gegangen. Gizmo, der draußen übernachtet, ist noch bei mir auf der Terrasse. Heute Nacht ist der Himmel sternenklar, morgen soll es gutes Wetter geben. Lotte und Charly sind schon im Gästezimmer und schlafen. Ich bin auch allmählich bettschwer.
Ich werde aller Voraussicht nach noch einen Post zu dieser Auszeit machen, ich denke am Montag. Morgen ist Heiligabend. Ich werde den Abend mit Olaf und Birgit verbringen. Ab Samstag wird die Quinta dann am späten Nachmittag durch mehr Menschen belebter, meine Zeit alleine mit Olaf hier wird enden. Es war bisher eine sehr gute, wunderbare Zeit. Olaf und ich haben es gut miteinander ausgehalten, uns verbindet inzwischen eine schon tiefere Freundschaft.
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