Quinta 2016 zwei
29 Aug 2016, Posted by Portugal | 2016 in#runterfahren#
tiempo muerto – Auszeit: Innerhalb kürzester Zeit sind die Uhren defekt, das Betriebssystem wurde runtergefahren, läuft im Ernergiesparmodus, die Festplatte wurde von Datenmüll bereinigt, der Arbeitsspeicher ist leer gefegt, die Geschwindigkeit des PCs reduziert.
Nachdem Sirius in seinen ersten Lebensmonaten eher wasserscheu war, er recht schnell in Süßwasser schwimmen lernte, waren wir auf seine Reaktionen auf Wellen und Salzwasser gespannt. Am ersten Tag – es war Flut – war er noch zurückhaltend und lief den brechenden Wellen davon. Am zweiten Tag – es war Ebbe und damit keine brechenden Wellen am Strand – stürzte er sich ins Wasser, um seinen Lieblingsball wiederzuholen…
Am Strand ging er einer seiner geliebten Beschäftigungen nach – Graben…
Da junge Hunde wenig Gespür für ihre körperlichen Grenzen haben, mussten wir ihn mehrfach animieren, sich auch mal auszuruhen 🙂
Der Tagesbeginn pendelt sich hier sehr schnell ein – zwischen 7 und 8 Uhr von der Sonne, Hundegebell, Hühnergeräuschen, Katzenmiaue oder einer Hundezunge im Gesicht wecken lassen. Auf der Terrasse, einem Hängestuhl oder -matte mit Kaffee, Kippe, Buch oder Musik wach werden – und das kann Stunden dauern…
Urlaubszeit ist für mich immer auch Lesezeit… außerhalb der tiempo muerte rauben alltägliche Aufgaben und Pflichten die Lese-Energie. In diesem Urlaub lasse ich mich von Hermann Hesse inspirieren: Wer in Romanform etwas über Triebhaftigkeit/Vergeistetheit über Rückzug ins Individuelle / Untergehen im Bürgerlichen lesen möchte, sollte Hermann Hesse lesen! Wunderbar… er beschreibt die Zerrissenheit des Menschen immer wieder gut, gibt aber keine Antwort… ich lade kurz ein mitzulesen…
„Die Zweiteilung in Wolf und Mensch, in Trieb und Geist, durch welche Harry sich sein Schicksal verständlicher zu machen sucht, ist eine sehr grobe Vereinfachung, eine Vergewaltigung des Wirklichen zugunsten einer plausiblen, aber irrigen Erklärung der Widersprüche, welche dieser Mensch in sich vorfindet und die ihm die Quelle seiner nicht geringen Leiden zu sein scheint.Harry findet in sich einen Menschen, das heißt eine Welt von Gedanken, Gefühlen, von Kultur, von gezähmter und sublimierter Natur, und er findet daneben in sich auch noch einen Wolf, das heißt eine dunkle Welt von Trieben, von Wildheit, Grausamkeit, , von nicht sublimierter, roher Natur. Trotz dieser scheinbar so klaren Einteilung seines Wesens in zwei Sphären, die einander feindlich sind, hat er es aber je und je erlebt, daß Wolf und Mensch sich für eine Weile, für einen glücklichen Augenblick miteinander vertrugen. Wollte Harry in jedem einzelnen Moment seines Lebens, in jeder seiner Taten, in jeder seiner Empfindungen festzustellen versuchen, welchen Anteil daran der Mensch, welchen Anteil der Wolf habe, so käme er sofort in die Klemme, und seine ganze hübsche Wolftheorie ginge in die Brüche. Denn kein einziger Mensch, auch nicht der Idiot, ist so angenehm einfach, dass sein Wesen sich als die Summe von nur zweien oder dreien Hauptelementen erklären ließe; und gar einen so differenzierten Menschen wie Harry mit der naiven Einteilung in Wolf und Mensch zu erklären, ist ein hoffnungslos kindlicher Versuch. Harry besteht nicht aus zwei Wesen, sondern aus hundert, aus tausenden. Sein Leben schwingt (wie jedes Menschen Leben) nicht bloß zwischen zwei Polen, etwas dem Trieb und dem Geist, oder dem Heiligen und dem Wüstling, er schwingt zwischen tausenden, zwischen unzählbaren Polpaaren. […] Der Mensch ist des Denkens nicht in hohem Maße fähig, und auch noch der geistigste und gebildetste Mensch sieht die Welt und sich selbst beständig durch die Brille sehr naiver, vereinfachender und umlügender Formeln an – am meisten aber sich selbst. Denn es ist ein, wie es scheint, eingeborenes und völlig zwanghaft wirkendes Bedürfnis aller Menschen, daß jeder sein Ich als eine Einheit sich vorstelle. Mag dieser Wahn noch so oft, noch so schwer erschüttert werden, er heilt stet wieder zusammen. Der Richter, der dem Mörder gegenübersitzt und in sein Auge sieht und einen Augenblick lang den Mörder mit seiner eigenen (des Richters) Stimme reden hört und alle seine Regungen, Fähigkeiten, Möglichkeiten auch in seinem eigenen Inneren vorfindet, er ist schon im nächsten Augenblick wieder Eins, ist Richter, schnellt in die Schale seines eingebildeten Ichs zurück, tut seine Pflicht und verurteilt den Mörder zum Tode. Und wenn in besonders begabten und zart organisierten Menschenseelen die Ahnung ihrer Vielspältigkeit aufdämmert, , wenn sie, wie jedes Genie, den Wahn der Persönlichkeitseinheit durchbrechen und sich als mehrteilig, als einem Bündel aus vielen Ichs empfindet, so brauchen sie das nur zu äußern, und alsbald sperrt die Majorität sie ein, ruft die Wissenschaft zu Hilfe, konstatiert Schizophrenie und beschützt die Menschheit davor, aus dem Munde dieser Unglücklichen einen Ruf der Wahrheit vernehmen zu müssen. Nun, wozu hier Worte verlieren, wozu Dinge aussprechen, welche zu wissen sich für jeden Denkenden von selbst versteht, welche zu äußern jedoch nicht Sitte ist? – Wenn nun also ein Mensch schon dazu vorschreitet, die eingebildete Einheit des Ichs zur Zweiheit auszudehnen, so ist er schon beinahe ein Genie, jedenfalls aber eine seltene und interessante Ausnahme. In Wirklichkeit aber ist kein Ich , auch nicht das Naivste, eine Einheit, sondern eine höchst vielfältige Welt, ein kleiner Sternenhimmel, ein Chaos von Formen, von Stufen und Zuständen, von Erbschaften und Möglichkeiten. Daß jeder einzelne dies Chaos für eine Einheit anzusehen bestrebt ist und von seinem Ich redet, als sei dieses eine einfache, fest geformte, klar umrissene Erscheinung: diese, jedem Menschen (auch dem höchsten) geläufige Täuschung scheint eine Notwendigkeit zu sein, eine Forderung des Lebens wie Atemholen und Essen (Hermann Hesse, Der Steppenwolf).“
Ich fragte mich beim Lesen, ob Hesse Freud gelesen hat. Hesse beschreibt gut lesbar meine Grundüberzeugung über die Seele des Menschen. Romane mit einer durchgängigen, unfragmentierten Handlung, Filme mit einer in einen künstlichen Kanal gegossenen Geschichte mit einem roten Faden, das eigene Denken in nicht zerrissenen Episoden entspricht nicht der menschlichen Natur! In der tiempo muerto erledigt sich das Nichtfragmentierte: Einzig der Verlauf von Tag und Nacht, der Verlauf der Sonne am Himmel ist scheinbar oder anscheinend konstant. Im Zustand der Wachheit am Tage laufen Episoden fragmentarisch durch das Bewußtsein, es tauchen Momente der Vergangenheit, des Jetzt und der Zukunft im Geiste auf, unterbrechen abrupt durch sinnliche Eindrücke der Wärme, des Hungers usw. Es dringen Stimmen, Geräusche und Berührungen von Außen ein, regen zu anderen Gedanken- und Gefühlsepisoden an. In einem Moment vereinzelt im eigenen Kosmos, im nächsten Moment herausgerissen von Menschen oder Tieren, in Verbindung mit Objekten, nicht mehr vereinzelt, sondern vereint. Wenn wir z.B. Individuation und Abhängigkeit als zweipoliges Paar verstehen und wir hin- und herpendeln, so ist dies nur ein Kontinuum von gegensätzlichen Polen. Unzählige dieser gepolten Paare oder gepaarten Pole leben zeitgleich im Inneren, nur wenige davon nehmen wir im Moment wahr: Denken/Fühlen, gut/schlecht, warm/kalt, geliebt/ungeliebt, konzentriert/unkonzentriert, Körper/Geist, isoliert/verbunden…
Zurück zum anscheinend zusammenhängenden Verlauf der Auszeit auf der Quinta Panoramica…
Der Reihenfolge nach: Lotte, Freddy, Luna, Sirius und Heidi… sie leben die Gegensätze von Wachsein/Schlaf, Hunger/Sättigung, Allein/Rudel – beneidenswert! Sie denken nicht den ganzen Tag so viel wie ich – ich genieße in jeder Auszeit umso mehr, dass mein Denken deutlich langsamer läuft…
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