Quinta Frühjahr | 2023 – Vier
05 Jul 2023, Posted by Portugal 15 | 2023 inEine gute Woche nach Rückkehr schließe ich den Blog zu meinem 15. Aufenthalt auf der Quinta Panoramica ab. Dies kommt gelegentlich vor. Es gibt dann während der Zeit meiner Auszeiten wichtigeres zu tun, als zu bloggen. Meine erste Arbeitswoche nach Rückkehr lief recht „störungsfrei“, die ersten beiden Tage der zweiten Arbeitswoche eher verhalten – dann habe ich Mühen mich empathisch in die Probleme meiner Patient:innen einzufühlen, merke parallel zum Zuhören Genervtsein über den Kram, den ich höre. Ich frage mich dann, was das Problem ist und warum sich Menschen ihr eigenes Leben so schwer machen. Wiederholungszwang nennt die Psychoanalyse das. So kann man es intellektuell verpacken, als mögliche Perspektive auf den wiederholten Wahnsinn in der Erlebens- und Lebensführung von Menschen. Meine beiden Leben in Hannover und auf der Quinta fühlen sich immer wieder wie getrennte Welten an, zwischen denen ich mehrfach im Jahr hin und her wechsele. Ich bin zwar der gleiche Mensch – in unterschiedlichen Umgebungen. Doch im Selbst- und Welterleben fühlt sich das nicht wie ein Mensch an. so als wäre ich 2. Wie kann man sich dem annähern, um verständlich zu machen, warum das so ist? Auf der Quinta gibt es keine Verpflichtung, keine Notwendigkeit, eine berufliche Rolle auszufüllen – ich bin im Urlaubsmodus, ich kann das Geld, was ich in der einen Welt verdient habe, in der anderen ausgeben. Doch es ist mehr. Es sind sehr unterschiedliche Umgebungen, die Einfluss auf mich und meinen Zustand nehmen: Anderes, für mich besseres Wetter/Klima – ich bin ein Wärme- und Sonnenkind, weniger gehetzte, unzufriedene Mitmenschen, mehr Lebewesen, die mir Liebe geben, mehr Ruhe, weniger Zivilisationslärm, weniger Zeittaktung durch Notwendigkeiten, mehr Taktung durch Tageslicht: Auf der Quinta bin ich freier und intensiver bei mir selbst und bei anderen, weniger gezwungen durch notwendige Arbeiten, freier fließend. Die Auswirkungen all dessen sind immer wieder ähnlich – es sind basalere Dinge für mich wichtiger, meine Prioritäten, was bedeutsam ist, verändern sich. Der Wunsch und die Fähigkeit, im Moment zu leben und weniger an gestern und morgen zu denken, sind ausgeprägter. Ich bekomme dadurch immer wieder einen großen Abstand zum Alltagswahnsinn und dem Wahnsinn der Mitmenschen in der Geldverdien-Welt, ich erlebe deutlich mehr Lebenszufriedenheit auf der Quinta. Das mag sehr polarisiert und 2-geteilt wirken, was es gefühlt auch ist. Doch mit wiederholten Erfahrungen dieses Kontrastes (15 x) scheine ich den guten Zustand, den die Quinta, die Menschen und Tiere dort in mir produzieren, zumindest ein Stück weit mit nach Deutschland zu nehmen, was sich auf unterschiedlichen Ebenen bei mir auswirkt: Meine überdauernde Einstellung, was für mich im Leben wichtig ist, verändert sich bzw. ich realisiere im Geldverdien-Modus der einen Welt situativ viel schneller, was ein Störgefühl meines körperlich-seelischen Gleichgewichtes produziert. Meine Fähigkeit situativ und innerlich, in Gedanken und Gefühlen Abstand von mir und der Welt zu nehmen, verbessert sich überdauernd. In Störungssituationen scheine ich so schneller wieder zur inneren Ruhe kommen zu können. Es gibt keinen statischen Zustand von Gleichgewicht oder Ausgeglichenheit. Was viele Menschen mit dem goldenen Mittelweg assoziieren und ersehnen – quasi dauerhaft in einem Zustand von Zufriedenheit oder Glücklichsein zu sein, ist eine Utopie. Es gibt allenfalls die mehr oder weniger aktiv und bewusst gestaltete Möglichkeit, selbst Einfluss auf Störungsquellen zu nehmen, schneller zu realisieren, was gerade stört. Im körperlich-seelischen Gesamtgefüge wirkt sich das möglicherweise auch so aus, schneller die eigenen Gefühle, Fantasien und Gedanken wahrzunehmen, die gerade stattfinden. Das muss nicht immer nur auf einer bewussten Ebene stattfinden, d.h. als bewusst wahrgenommene Gedanken. Viel von solchen Wahrnehmungen findet auch unterschwellig statt, geht dann in die eigene Intuition ein, es werden quasi neue Reflexe etabliert. Wer sich gelegentlich – aus welchen Gründen auch immer – mit körperlich-seelischen Phänomenen der Spezies Mensch beschäftigt, wird erahnen, was ich mit all dem hier meine – ein Stück weit wird es abstrakt und theoretisch bleiben. Aufzulösen wären Unklarheiten nur durch einen direkten Diskurs darüber, also eine Unterhaltung über all dies. Wahrheit ist ein Konstrukt, die gibt es i.d.R. nicht. Es gibt gefühlte, innere Lebensrealitäten – darüber können wir uns unterhalten. Es geht in vielen menschlichen Zusammenhängen immer wieder um die Frage, wie und was ein Mensch in Bezug auf den Betrachtungsgegenstand erlebt. Es ist ein Ringen um Miteinander-Verstehen. Ein Bemühen, den Dingen einen Sinn zu geben. Lange Zeit gehörte zu meinen Konstrukten über das Funktionieren des Menschen so etwas wie das Bedürfnis nach Sinngebung. Wir möchten Dinge, die für uns bedeutsam sind, verstehen, ihnen einen Sinn verleihen. Ich bin überzeugt, dass dahinter ein viel basaleres Bedürfnis steht: Wir möchten die Welt kontrollieren. Wir möchten Einfluss darauf nehmen, was uns schädigt und möchten alles vermehren, was uns gut tut. Wenn ich nun menschliche Zusammenhänge verstehe, sie einen gewissen Sinn machen, kann ich sie auch beeinflussen. Letztlich verbindet uns dies mit Tieren: Überlebensinstinkt. Meinen Patient:innen beschreibe ich dies gerne als unseren „Gefahrenabwehr- / Sicherheitsbedürfnisdetektor“, der mehr oder weniger bewusst dauerhaft aktiv ist. Ich merke gerade, wie ich mich in Theorieüberlegungen verlaufe. Stopp. Die gerade verfügbare Zeit, der Blick auf die Uhr, begrenzt mich. Ich sollte bald duschen gehen, mit Sirius spazieren gehen, bevor ich mich ab 12 Uhr dem Berufsleben hingebe.
Ich versuche, mich gerade mal wieder einzufangen. Wenn ich aus meiner geliebten Quinta-Welt in die Geldverdienenmüssen-Welt in Hannover zurückkehre, brauche ich etwas Zeit, um mich an den Wahnsinn jener Welt zu gewöhnen. Bei der ein oder anderen beruflichen Situation frage ich mich dann ernsthaft „Was ist eigentlich gerade Dein Problem?“, was sich an meinen Gegenüber richtet. Meist denke ich mir das nur. Manchmal finde ich selbst eine Antwort auf diese Frage. Manchmal frage ich das auch direkt. Wenn ich dann wieder so von beruflichen Dingen und dem mich selbst umgebenden Irrsinn eingenommen bin, kann ich wieder geräuschloser arbeiten. Das verläuft in Wellen, die mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Quinta Panoramica, meist ruhiger werden. Ein Gedanke noch: Der Impuls heute zu schreiben, kam durch die heutige Abreise von Meik zur Quinta zustande. Er fliegt in meine geliebte Welt. Dies hat mich sofort und kurzzeitig in meine geliebte Welt katapultiert. Das brachte mich zum Nachdenken und Schreiben über diesen Kram. Ich beende jetzt das schreiben. In den kommenden Tagen werde ich weiterschreiben und den Post zum 15. Auszeit mit Bildern abschließen.
Inzwischen sind es fast 4 Wochen seit ich zurückgekehrt bin. Meik ist auch wieder zurück. Ich blicke etwas verwundert auf meinen Text in diesem Post und frage mich, was mich beim Schreiben geritten hat. Ich lasse es stehen und beende diesen Post und damit den Blog zum letzten Quinta-Aufenthalt mit Bildern.
Beim Einstellen der Bilder bin ich mal kurzzeitig wieder zurück. Portugal – Quinta Panoramica – meine 2. Welt. Es sind schon Pläne geschmiedet und Tickets gekauft: Im August werde ich Olaf in Barcelona treffen. Nach einer Woche Arbeit werde ich dann eine Woche auf der Quinta sein. Im Verlauf der Septembers kümmere ich mich dann mal um meine 2-wöchige Auszeit auf der Quinta voraussichtlich im Oktober. Dann vor Ort kläre ich ab, ob ich Weihnachten oder Sylvester auf der Quinta verbringe. Irgendwie verrückt: Es zeichnet sich ab, dass ich 2023 fünf Mal auf der Quinta sein werde. Mein schlechtes Gewissen aufgrund der vielen Flüge bekomme ich gut in den Griff. Dass ich nicht 2 x / Jahr für längere Zeit, z.B. 2 x 4 Wochen, in Portugal bin, liegt an meinen Lieblingsportugiesen Sirius: Ich kann es Meik nicht zumuten, für so lange Zeit alleine für Sirius verantwortlich zu sein. So ist das mit Scheidungskindern.
Mein derzeitiges Leben wird vom Spagat Arbeitswelt – Auszeitwelt bestimmt. In der Welt dazwischen denke ich kaum noch an so etwas wie Partnerschaft, ich bin seit geraumer Zeit „entspannter Single“. Ich habe es nicht eilig, einen Menschen zu finden, der mich als Partner in meinem weiteren Leben begleitet. Ich lasse es geschehen. Ich mache mir viel mehr Gedanken darum, wie ich Portugal ausbaue. Momentan ranken sich die Fantasien um einen kleinen PKW für Portugal, ein kleines Mobile Home auf dem Gelände der Quinta Panoramica. Was davon real wird, ist offen. In und nach einer Sitzung mit einem Mann, der bei mir im Rahmen seiner Psychotherapieausbildung Selbsterfahrung macht, wurde für mich spürbar, was für die eigene Lebenszufriedenheit bedeutsam ist: Wo sind Menschen und Freunde, die ich lieben kann? Zuhause ist, wo Freunde sind. Ich habe das in beiden Welten. Wenn ich in die Zukunft „fühle“, erscheint mit die Quinta Panoramica bedeutsamer. Bin bald wieder da.
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